Die digitale Transformation gilt für viele mittelständische Betriebe als entscheidende Voraussetzung für eine dauerhafte Sicherung ihrer Existenz. Wer die Nachfolge eines Familienunternehmens übernimmt, muss daher nicht nur bereit sein, dieses Thema voranzutreiben. Er muss auch das entsprechende Rüstzeug dafür mitbringen. Im Caravan Center Bocholt, einem Familienbetrieb aus dem Münsterland, hat vor einigen Jahren die nächstjüngere Generation die Führung übernommen. Das Beispiel zeigt, worauf es bei einem Unternehmen ankommt, das vor der Herausforderung der Digitalisierung steht und welche Kompetenzen einen „Digital Leader“ auszeichnen.

Viele der heutigen Unternehmenslenker sind älter als 55 Jahre und müssen sich mit der Nachfolgeplanung befassen. Das bestätigen zahlreiche Untersuchungen, wie beispielsweise die Kern-Studie zur Unternehmensnachfolge. Die neuen Firmenchefs, ob aus den eigenen Reihen oder extern rekrutiert, stehen häufig vor einem Spagat zwischen Kontinuität und Neuanfang: Es gilt, den bisherigen Erfolg und die Tradition des Unternehmens weiterzuführen, aber gleichzeitig dessen Zukunftsfähigkeit sicherzustellen – etwa durch Investitionen im Bereich Digitalisierung. Für die meisten jungen Firmenlenker hat dieses Thema hohe Priorität. Das belegt eine internationale Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC), für die knapp 1.000 Nachfolger befragt wurden – rund 10 Prozent davon kamen aus dem deutschsprachigen Raum.

Digitalisierung als Erfolgsrezept: Ein Beispiel aus der Praxis

Ein typischer Vertreter der neuen Nachfolgergeneration ist Christian Thielkes. Der gelernte Automobilkaufmann übernahm vor sieben Jahren die Geschäftsleitung des von seinem Vater gegründeten Familienunternehmens Caravan Center Bocholt. Schon damals verzeichnete der Anbieter von Wohnmobilen und Wohnwagen ein starkes Wachstum. Eine Optimierung der Geschäftsprozesse war unausweichlich, um den Kunden auch in Zukunft den geforderten Service bieten und weiter wachsen zu können. Aus diesem Grund startete Thielkes 2015 gemeinsam mit seinem Prokuristen ein Digitalisierungsprojekt, das sämtliche Unternehmensbereiche und -prozesse umfasste. Mittlerweile läuft kaum ein Prozess mehr so ab wie noch vor fünf Jahren. Dadurch ist das Unternehmen deutlich schneller und effizienter geworden. Eine solche Umstellung erfordert neben dem technologischen Umbau auch ein begleitendes Change-Management. Wichtig ist vor allem eine offene Kommunikation – und genau die zählt zu den besonderen Stärken des jungen Firmenlenkers.

Was einen Digital Leader auszeichnet

Am Beispiel von Christian Thielkes zeigt sich, dass Digital Leader dann Erfolg haben, wenn ihr Kompetenzportfolio sämtliche Aspekte einer Unternehmensmodernisierung möglichst vollständig abdeckt:

Motivieren und Identität stiften: Ein Digital Leader sollte in der Lage sein, Brücken zwischen Tradition und Neuausrichtung zu bauen und alle Mitarbeiter in diesen Prozess zu involvieren. „Wir pflegen eine offene Unternehmenskultur, die mein Vater schon vor vielen Jahren geprägt hat: flache Hierarchien, Kommunikation auf Augenhöhe und eine starke Team-Orientierung. Die Kontinuität in der Firmenkultur hat uns dabei geholfen, die Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Digitalisierung zu überzeugen“, so Christian Thielkes, Geschäftsführer im Caravan Center Bocholt.

Digitale Visionen haben: Ist die Entscheidung für die Digitalisierung eines Unternehmens gefallen, steht am Beginn in der Regel eine gründliche Analyse der bestehenden Prozesse. Diese schafft erste Klarheit, in welchem Bereich die Neuausrichtung ansetzen sollte – nämlich bei den Kernprozessen des Unternehmens. Ein wichtiger Erfolgsfaktor in diesem Zusammenhang ist, eine grundlegende Vorstellung davon zu haben, was digitale Prozesse an konkreten Mehrwerten – vor allem auch hinsichtlich der Modernisierung des eigenen Geschäftsmodells – bieten sollen und was das Anforderungsprofil an die eingesetzten Systeme vor diesem Hintergrund ist.

Digitales Know-how: Um die digitale Strategie und Vision praktisch umzusetzen, ist die Auseinandersetzung mit marktrelevanten Lösungen essenziell. Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem ein ausreichend breites Überblickswissen darüber, ob und wenn ja, wie verfügbare Systeme relevante Betriebsprozesse unter dem Dach einer zentralen Unternehmenssoftware integrieren können. Für Detailfragen zur Umsetzung einzelner Teilsysteme und Module sollte dann auf die Expertise von Implementierungspartnern zurückgegriffen werden.

Vernetzt denken und handeln: Ein Digital Leader richtet aber nicht nur den Blick nach innen auf die Prozesse. Er behält auch das gesamte Gefüge aus Mitarbeitern, Kunden und Partnern als großes Ganzes im Blick. Dabei ist es wichtig, Prioritäten genau zu setzen und operative Detailaufgaben – beispielsweise die Implementierung eines CMS als Teil der neuen digitalen Gesamtinfrastruktur – zur eigenverantwortlichen Umsetzung im Sinne eines Projektverantwortlichen an Mitarbeiter zu delegieren.

„Heimvorteil“ beim Kundenwissen für Digitalisierung nutzen: Neben profunden betriebswirtschaftlichen und marktbezogenen Kenntnissen müssen Unternehmer ein tiefes Wissen über ihre Kunden und deren Bedürfnisse mitbringen. Dies gilt umso mehr, wenn betriebliche Abläufe modernisiert werden. Denn Ziel sollte es dabei sein, auch die Kundenanforderungen durch neue, digitale Systeme zu adressieren – und zwar besser als dies zuvor der Fall war. Nachfolger aus den eigenen Reihen genießen in dieser Hinsicht einen „Heimvorteil“, da sie als direkte Nachkommen des Firmengründers faktisch in der Branche groß geworden sind und mit den Kunden des Unternehmens und ihren Anforderungen von Anfang an vertraut waren.

Change-Management: Durch die Digitalisierung werden herkömmliche Strukturen hinterfragt und oft auch aufgelöst. Das kann zu Unsicherheiten in der Belegschaft führen. Wichtig ist daher eine kontinuierliche Kommunikation, um den Mitarbeitern Orientierung zu bieten und mögliche Vorbehalte im Blick auf anstehende Veränderungen wie dem Wechsel der Geschäftsführung oder der digitalen Transformation abzubauen.

„Nachfolger werden im Zeitalter von Industrie 4.0 vor allem daran gemessen, wie gut sie die Digitalisierung vorantreiben. Wenn sie über umfassende Digital-Leadership-Kompetenzen verfügen, haben sie nicht nur das Potenzial, ihre Unternehmen erfolgreich durch die herausfordernde Zeit des Übergangs zu bringen, sondern sie auch umfassend für die Zukunft zu wappnen. Die digitale Transformation dient nicht nur dazu, Prozesse effektiver zu gestalten. Sie macht mittelständische Unternehmen auch agiler, erhöht die Kundenzufriedenheit und sorgt damit für steigende Umsätze“, fasst Jan Friedrich, Experte für Unternehmensnachfolge im Mittelstand und Vice President Field Marketing Central Europe bei Sage zusammen.

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  • Jan Friedrich, Sage: Sage GmbH