Sechs Buchstaben treiben klassischen Einzelhändlern in diesen Tagen die Schweißperlen auf die Stirn: C-O-R-O-N-A. Bedingt durch die Corona-Pandemie und den Lockdown müssen die meisten Einzelhändler zurzeit drastische Umsatzeinbrüche verkraften. Der Staat unterstützt Händler zwar mit Soforthilfen in Milliardenhöhe, doch diese reichen oft nicht aus. Die Folgen könnten drastisch sein: Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnte bereits Mitte Januar davor, deutschlandweit drohe 50.000 Geschäften der Ruin.
Schon werden Forderungen nach einer Digitalsteuer für Internetkonzerne wie Google und Amazon laut. Im Online-Handel nämlich erkennen viele klassische Einzelhändler ihren größten Feind. So richtig die Forderung ist, dass Konzerne wie Amazon ihre Gewinne auch dort versteuern sollten, wo sie sie erzielen, so gefährlich ist die Denkweise mancher Einzelhändler: Nicht (nur) die Digitalisierung oder aktuell der Lockdown, sondern vor allem die eigene Trägheit lassen schon seit Jahren die Abwärtsspirale rotieren, in der sich viele klassische Einzelhändler befinden. Zahlen des HDE sprechen hier eine klare Sprache: Allein seit 2015 sind die Ausgaben im Online-Handel im Schnitt um 10,4 Prozent pro Jahr gestiegen, während der klassische Einzelhandel pro Jahr nur um durchschnittliche 2,6 Prozent zulegen konnte.
Wie sehr sich die Marktverhältnisse in manchen Branchen schon verschoben haben, machte Ende Januar ein Blick nach Großbritannien deutlich: Der erst 2006 gegründete Zalando-Konkurrent Boohoo gab am 26. Januar bekannt, Debenhams für 55 Millionen Pfund zu übernehmen – eine bereits im Jahr 1778 gegründete Kaufhauskette. Das Interesse von Boohoo gilt jedoch einzig der Marke „Debenhams“ und dem Online-Geschäft. Die über 150 Filialen, die Debenhams in 26 Ländern auf drei Kontinenten betreibt, sollen geschlossen werden. 12.000 Debenhams-Mitarbeiter fürchten um ihren Job. Ein echter Paukenschlag. Nicht zufällig sicherte die Bundesregierung nur einen Tag nach dem Bekanntwerden der Debenhams-Übernahme zu, Galeria Karstadt Kaufhof mit weiteren 460 Millionen Euro Staatshilfe zu unterstützen.
Auch die größte Finanzspritze aber wird das Leiden des klassischen Einzelhandels nicht beenden, sondern allenfalls verlängern. Klassische Einzelhändler haben nicht weniger Kunden, weil Online-Shops sie ihnen abwerben. Klassische Einzelhändler machen deshalb weniger Umsatz, weil ihre ehemalige Kundschaft inzwischen in vielen Fällen lieber online als im Laden um die Ecke einkauft. Warum das so ist, hat zuletzt eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom gezeigt: Mit günstigeren Preisen und einer größeren Auswahl punkten Online-Shops bei ihren Kunden gegenüber klassischen Händlern. Zudem schätzen Verbraucher die Zeitersparnis: Sie müssen beim Online-Shopping nicht auf Öffnungszeiten achten und bekommen ihre Produkte bis nach Hause geliefert.
Was den Komfort angeht, haben Online-Shops ihrer analogen Konkurrenz etwas voraus. Der Laden um die Ecke kann da nicht mithalten. Besonders deutlich wird das am „Click and Collect“-Service, den manche Einzelhändler ihren Kunden anbieten. Seit Jahren gilt „Click and Collect“ als Heilsbringer für den klassischen Einzelhandel. Verlässliche Zahlen dazu, wie viele Kunden ihre Waren online bestellen und anschließend im Laden abholen, sucht man allerdings vergeblich.
Ist das Sterben der Innenstädte also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung? Mit Nichten. Eher ist das Gegenteil der Fall. Unter einer Voraussetzung: Genauso wie Online-Händler ihre Vorteile gewinnbringend ausspielen, müssen sich auch Einzelhändler wieder auf ihre Stärken besinnen. Eine der größten Stärken des klassischen Einzelhandels ist übrigens genau jene menschliche Nähe, wegen der die meisten Läden aktuell geschlossen bleiben müssen.
Verbraucher gehen vor allem aus drei Gründen im klassischen Einzelhandel einkaufen: Sie schätzen die direkte Nähe und schnelle Verfügbarkeit der benötigten Produkte. Sie möchten von einem „echten“ Verkäufer beraten werden. Und für viele Verbraucher hat der Einkaufsbummel durch die Innenstadt auch einen Event-Charakter.
Erleben konnte man das Potential des Einzelhandels diesen Sommer. Der erste Lockdown war vorbei, das Wetter gut und die Menschen strömten zu Hunderttausenden in die Einkaufszonen dieses Lands. Wer auf dem Kurfürstendamm in Berlin, auf der Zeil in Frankfurt, der Mönckebergstraße in Hamburg, der Königsallee in Düsseldorf oder der Schildergasse in Köln nur für einen kurzen Moment genauer hinsah, stellte schnell fest: Alleine war hier kaum einer unterwegs. „Shoppen gehen“ in der Innenstadt ist für Verbraucher ein soziales und auch ein kulturelles Erlebnis, das sie mit ihrem Partner, Ihren Freunden oder ihrer Familie teilen.
Natürlich kaufen Verbraucher auch im klassischen Einzelhandel ein, um einen konkreten Bedarf zu stillen. Anders als beim rein funktionellen Einkauf im Internet steht die pure Beschaffung der benötigten Produkte – mit Ausnahme vielleicht des Lebensmittelkaufs – aber nicht im Mittelpunkt. Der funktionale Nutzen wird beim Einkaufsbummel durch die City vielmehr von starken, positiven Emotionen begleitet und manchmal sogar überlagert.
Einzelhändler sind gut beraten, Kunden zu interessieren und zu binden, indem sie positive Konsumerlebnisse schaffen – durch ansprechend gestaltete Verkaufsräume, durch eine große Auswahl, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, durch spezielle Verkaufsaktionen und nicht zuletzt auch durch eine exzellente Beratung. Die corona-bedingte Zwangspause, die die Politik den meisten Einzelhändlern verordnet hat, wäre ein guter Zeitpunkt, die Weichen für diese Zukunft zu stellen – durch die Schulung des Personals, die Umgestaltung der Ladenflächen und durch die Konzeption eines verkaufsfördernden Rahmenprogramms.
Die fast schon reflexartigen Forderungen nach einer Digitalsteuer als (alleinigem) Heilsbringer lassen aber befürchten, dass viele Händler diese Chance ungenutzt verstreichen lassen. Weshalb Schlecker vor gar nicht allzu langer Zeit gescheitert ist, scheinen sie inzwischen wieder vergessen zu haben. Es sei deshalb an dieser Stelle noch einmal wiederholt: Verbraucher möchten ein positives Erlebnis haben – auch und vor allem beim Einkauf im Laden um die Ecke.
Von Fabian Spielberger, Gründer und CEO der Shopping-Community mydealz
Fabian Spielberger ist ein Berliner Serien-Unternehmer und Investor. Er gründete mydealz 2007 noch während seines Studiums der Nanostrukurtechnik als simplen WordPress Blog und entwickelte mydealz in den letzten 13 Jahren zur größten Shopping-Community mit 6,7 Millionen Besuchern pro Monat. Zeitgleich begleitete er den Start und das Wachstum heute marktführender Unternehmen wie des Reiseunternehmens Urlaubspiraten.de und des Cashback-Portals Shoop aktiv mit. Unter der Marke Pepper.com „exportiert“ Spielberger das mydealz-Konzept aktuell in zahlreiche Länder rund um den Globus. Die 11 Pepper.com-Communites werden aktuell bereits von 25 Millionen Konsumenten pro Monat genutzt, die 12.000 Kaufentscheidungen pro Minute treffen.
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- Fabian Spielberger: mydealz